Karsten D. Wolf ist Professor für Medienpädagogik und didaktische Gestaltung multimedialer Lernumgebungen an der Universität Bremen. Im Interview spricht er über das Nutzungsverhalten von Jugendlichen und Erwachsenen, die Zukunftschancen herkömmlicher Medien und die Rolle von Plattformen wie Youtube. VON DANIEL WOLF

 

Herr Professor Wolf, alle sprechen vom Medienwandel und tatsächlich löste in den letzten 20 Jahren ein Trend den anderen ab…
Es fing mit der Digitalisierung an. Mit dem Internet kam die Vernetzung hinzu. Der dritte Aspekt ist die Mobilität: Heute sind die Medien allgegenwärtig und neue entwickeln sich mit enormer Geschwindigkeit – gerade die sozialen. Die Mediennutzung hat insgesamt stark zugenommen, außerdem beobachten wir eine hohe Ausdifferenzierung. Und die Innovationsgeschwindigkeit wird weiter zunehmen.

Und wo geht die Reise hin?
Das ist ganz schwer zu sagen. Das 3D-Fernsehen ist zum Beispiel nie so richtig angekommen. Die neue Hype-Sau, die durchs Dorf getrieben wird, heißt „Virtual Reality“. Brillen zur 360-Grad-Betrachtung könnten ganz neue, zum Teil interaktive Medienformate schaffen. Ansonsten geht der technische Trend weiter zu Wearables, auch Smart-Glasses sind meiner Meinung nach für die mittlere Zukunft ein Thema. Die Medien rücken immer näher an den Körper heran.

Gibt es eigentlich eine alte analoge und eine neue digitale Generation?
Ich bin absoluter Gegner des Begriffs „Digital Natives“. Natürlich nutzen junge Menschen die neuen Medien anders, weil sie damit aufgewachsen sind. Für sie ist es selbstverständlich, einfach das Smartphone rauszuholen und irgendwas auf Wikipedia oder Google nachzuschauen. Wenn ich meinen Studenten erzähle, wie wir früher Informationen gesucht haben, hört sich das für die an wie Mittelalter.
Aber die Fähigkeit, sich mit dem Internet auseinanderzusetzen, hat grundsätzlich nichts mit dem Alter zu tun. Ich kenne Senioren, die hervorragende Websites entwickeln. Die Jugendlichen sind natürlich experimentierfreudiger.

Wird Youtube das Fernsehen ablösen?
Die Ur-Idee von Fernsehen ist tot – die Vorstellung, dass man eine Sendung zu einer bestimmten Zeit ausstrahlt und Leute das dann zusammen angucken. Das wird nur noch bei ganz bestimmten Inhalten klappen, bei Serienpremieren zum Beispiel oder bei Live-Events wie Konzerten und besonders Sportveranstaltungen. Ansonsten müssen die Sender sich darauf einstellen, ein Content-Angebot im Netz zu schnüren. Das müssen sie ja nicht auf Youtube, sondern können sie auch über eigene Mediatheken tun.

Wird Fernsehen in Zukunft also nur noch im Netz stattfinden?
Ändern wird sich das Programm, die Art wie man schaut. Aber das wird man weiterhin auch vor dem Fernsehgerät tun.

Und was passiert mit Zeitung und Radio?
Das Radio hat seine Nischen gefunden. Zum einen dient es einem Hochbildungsbürgertum als verlässliche Informationsquelle, zum anderen funktioniert es nach wie vor gut als Nebenbei-Medium – bei der Arbeit, im Auto oder während der Hausarbeit. Mal sehen, ob die Leute künftig unbedingt ein globales Online-Radio haben wollen. Ich denke, da ist eher Regionalität ein Thema.
In der Presse herrscht natürlich ein Blutbad. 60 Euro im Monat für ein Qualitätsblatt, das können und wollen sich immer weniger Leute leisten. Die sagen: Das finde ich alles auch online. Und wer hat schon die Zeit, sich morgens eine Stunde zum Lesen hinzusetzen? Das passt nicht mehr zum Lebensstil der Leute, das wird zunehmend ein Eliten-Ding.

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Karsten D. Wolf beschäftigt sich vor allem mit multimedialem Lernen. © privat

Haben junge Leute überhaupt noch ein Bedürfnis nach Informationen?
Das ist sehr groß, vielleicht sogar gewachsen. Sie informieren sich halt über das, was sie interessiert, oder bloggen selbst darüber. Im Internet findet man Sachen, die man in der Zeitung oder in der Tagesschau nicht oder nur viel später findet, „Super Special Interest“ eben. Die Jugend ist politikmüder und auch kritischer gegenüber klassischen Nachrichtenkanälen geworden. Ich glaube trotzdem, dass sie sich über Weltgeschehen informieren will, LeFloid macht es ja vor.

Portale wie Youtube bieten aber überwiegend Unterhaltsames.
Es gibt dort auch Leute, die Bildung sehr interessant rüberbringen. Die rappen zum Beispiel über Mathe oder Geschichte…Wenn man Bildung auf Youtube fördern will, muss man Geld in die Hand nehmen und wirklich guten Content produzieren. Für den Anfang könnte man auch Beiträge aus dem Wissenschaftsfernsehen zur freien Verfügung stellen, damit Youtuber sie in ihren Erklärvideos nutzen können.

Sind Youtuber letztlich besser als Fernsehsender?
Ob sie etwas besser machen, wird sich noch zeigen. Meistens sind im Hintergrund Leute mit viel Fernseherfahrung, die kapiert haben, dass auf Youtube im Moment eben viel mehr geht. Dort möchten sie Modelle wiederholen, die einst im Fernsehen gut funktioniert haben; sie wollen ihre Youtuber als Marken etablieren. Das klappt aber nur bedingt, denn Nutzer wollen eher Leute sehen, die ein bisschen anders sind. Wirklich interessant sind also die Leute, die selbst produzieren.

Ist die Illusion von Nähe das Geheimnis des Erfolges?
Man ist viel näher am Geschehen, erlebt die Distanz zu den Akteuren zumindest als geringer. Die bekanntesten Youtuber mit hunderttausenden Followern sind eigentlich schon wieder zu groß, aber gerade mit den kleineren Leuten kann ich mich als Zuschauer identifizieren. Wenn Videoblogger ihre Schmink-Tutorials oder ähnliches machen, wirken sie häufig wie große Geschwister, die ihre Tipps und Lebensweisheiten weitergeben.

Heute ist der User Teil des Geschehens, selbst aus Kinderzimmern wird gesendet. Wie beurteilen Sie diese Aktivitäten im Netz?
Auf der einen Seite haben die Jugendlichen heute ein ganz anderes Verständnis von Privatheit als früher. Damals ging Öffentlichkeit mit Berühmtheit einher, heute ist man grundsätzlich fast nirgendwo mehr privat und jeder ist irgendwie sein eigener kleiner PR-Berater. Die Grenzen des Privaten werden sich verschieben.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich immer noch Dinge, die man nicht im Netz preisgeben sollte. Insgesamt brauchen wir einen großen Diskurs, wie viel von uns wir wem anvertrauen. Künftige Generationen werden das sicherlich noch viel stärker durchdenken müssen.