Auf Youtube gibt’s jede Menge Nachhilfe für Schüler. Lässige Moderatorentypen und engagierte Lehrer bieten Unterstützung beim Pauken an. Ob die Videos die normale Nachhilfe ersetzen können, ist umstritten. Wir haben zwei Jugendliche gefragt, wie sie das Angebot finden. VON NORA KOLHOFF UND LOVIS KRÜGER

 

Ilias und Dilhan sind leicht gelangweilt. Klar: Wenn man sich etwas auf Youtube ansieht, ist das Thema „Säuren und Basen“ nicht unbedingt erste Wahl. Aber weil im Chemie-Unterricht einiges an ihnen vorbeigegangen ist, wollen die beiden Elftklässler sich heute zu dem Thema zwei Videos angucken. Können sie den Stoff per Klick nachholen?

Etwa jeder vierte Jugendliche in Deutschland hatte bis zum 17. Lebensjahr schon mindestens einmal bezahlte Nachhilfe. Das ergab 2010 eine Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Und es sind nicht immer die schwachen Schüler, die Unterstützung beim Lernen in Anspruch nehmen. „Nachhilfe wird von einem beachtlichen Teil an Schülern zur Aufbesserung einer an sich schon guten Note genutzt“, sagt Klaus Klemm, der Leiter der Studie. Oft organisierten die Eltern das Coaching vor einer Übergangsphase – etwa dem Wechsel von der Grundschule auf eine weiterführende Schule oder wenn es um eine besonders gute Abiturnote gehe.

Normalerweise kostet Nachhilfe Geld. Auf Youtube dagegen wird sie kostenlos angeboten. Bislang ist die Plattform eher für ihre Schminktipps oder Comedians bekannt, doch zunehmend bespielen auch Wissens-Youtuber diesen Markt. Schließlich tummeln sich nirgendwo sonst im Internet so viele Jugendliche, wie eine Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest ergab. Etwa zehn Prozent davon nutzen Video-Tutorials. Darin wird Schulstoff aus allen Bereichen besprochen: Mathe, Deutsch, Sport – wer Hilfe sucht, findet sie.

Unterricht auf Kumpelebene

Das erste Video, das Ilias und Dilhan sich angucken, ist von The Simple Club. Dahinter stecken zwei Studenten aus dem baden-württembergischen Mosbach, die vier verschiedene Kanäle anbieten: Biologie, Chemie, Physik und Mathe. Dreizehn Videos zeigen Alexander Giesecke und Nicolai Schorek pro Woche, alle beinhalten Schulstoff der MINT-Fächer. Es gibt einen Online-Stundenplan, der nach Rubriken wie Studium, Abitur oder generelles Wissen sortiert ist. Die Videos sind professionell gemacht und durchgestylt. Die Skripte dazu stammen von anderen Studenten und Tutoren und zeigen sprachlich eine große Nähe zu ihrer jugendlichen Zielgruppe. Sie wollten ja schließlich keinen Literaturwettbewerb gewinnen, erklären Alexander Giesecke und Nicolai Schork, und die Schüler als Freunde und nicht als Lehrer erreichen: „Unsere Videoskripts sind so geschrieben, als würde man einem Kumpel im Facebook-Chat etwas erklären.“

Da wird dann schon mal der Begriff „Titte“ verwendet, um eine Parabel zu erklären. Und die computerdesignten Smileys im Video über Säuren- und Basen sagen Sätze wie: „Ich bin sauer und geb‘ Protonen ab.“ Alexander Giesecke und Nicolai Schork moderieren das Ganze entsprechend lässig. „Moin Leute, ich denke ihr kennt es alle“, heißt es zur Begrüßung bei Basen und Säuren. „Es gibt die Leute, die Wasser mit Kohlensäure trinken…und die, die immer stilles Wasser trinken.“ Gegen Ende des Chemie-Videos kommt der Moderator nochmal auf das Mineralwasser zu sprechen: Die jungen Zuschauer sollen posten, ob sie es lieber mit oder ohne Kohlensäure mögen.

Virtueller und realer Lehrer

Das zweite Video, das Ilias und Dilhan sich angucken, stammt von Hans-Jörg Rath. Er ist Lehrer und stellt als Chemistrykicksass regelmäßig Videos bei Youtube online und auch bei ihm gibt es ein Tutorial zum Thema „Säuren und Basen“. Hier spielt die Optik eine deutlich untergeordnete Rolle. Rath zeichnet die chemischen Reaktionen mit bunten Stiften auf eine weiße Pappe und legt aus Papier ausgeschnittene chemische Elemente dazu. Die Gestaltung der Videos, sagt Rath, sei im Vergleich zu anderen Anbietern äußerst primitiv. Auch sprachlich komme er nicht so locker rüber, sondern wie „in der Schule beim Unterrichten oder im Alltag“.

Die Arbeit an den Filmen betrachtet Rath als persönliches Hobby. Mit bislang 1.400 Abonnenten reicht Chemistrykicksass nicht im entferntesten an Kanäle wie The Simple Club heran. „Bislang habe ich damit noch keinen Cent verdient“, so Rath. The Simple Club haben mit ihrem Mathe-Programm mittlerweile mehr als 250.000 Abonnenten und werden oft von Lehrern angeschrieben, die die Videos in ihren Unterricht einbauen oder das Angucken als Hausaufgabe aufgeben. Damit haben die Mosbacher Studenten eine Reichweite erlangt, die kommerziell interessant ist. Wer von ihnen etwas lernen will, bekommt vor jeder Lerneinheit zunächst eine Werbebotschaft zu sehen. Unterstützt werden die virtuellen Nachhilfelehrer von dem europaweit aktiven Vermarktungsnetzwerk Mediakraft. Bislang würden ihre Einnahmen dem Aufwand noch nicht gerecht, so die beiden Studenten. Ihr Projekt sei aber durchaus als Investition gedacht.

Youtuber nutzen ungewöhnliche Methoden

Hans-Jörg Rath und die Jungs von The Simple Club sind nicht die einzigen, die auf Youtube Schulstoff vermitteln. Da ist zum Beispiel der Kanal JeanHilftDir, der sich wie viele andere auf Mathe spezialisiert hat. Im Bild ist nie der Sprecher selbst zu sehen, sondern nur eine weiße Tafel, auf der die Funktionen angezeigt werden. Manche Youtube-Tutoren versuchen es auch mit unkonventionellen Lehrmethoden. DorFuchs zum Beispiel singt und rappt Mathe-Formeln wie den „p,q-Formel Mathesong“ – und erreicht damit fast 70.000 Abonnenten. Werbung gibt es bei ihm nicht.

Auch Dilhan und Ilias pauken manchmal mit Hilfe von Youtube-Videos. Ihr Urteilt über die beiden Chemie-Videos fällt unterschiedlich aus. Bei The Simple Club geht es Dilhan allzu hektisch zu. Er mag es lieber langsam und verständlich wie bei Hans-Jörg Rath. Ilias dagegen findet die professionell gemachten Videos von The Simple Club entschieden besser als die Basteleien von Chemistrykicksass.

Die Reaktionen der zwei Jungs auf Tutorials gibt’s im Video:

Führt virtuelle Nachhilfe zum Lernerfolg?

Und wie beurteilen die Nachhilfelehrer aus unserem Test die Wirkung ihrer Videos? Chemistrykicksass-Produzent Hans-Jörg Rath glaubt, dass Nachhilfe über Youtube nicht für alle Schüler geeignet ist. Viele bräuchten den persönlichen Kontakt zu einem Lehrer. „Ich ersetze mit Chemistrykicksass deshalb auf keinen Fall den Nachhilfeunterricht“, sagt Rath. Allerdings könnten auch Schüler die Gratis-Online-Nachhilfe nutzen, deren Familien sich eine reguläre Nachhilfe nicht leisten könnten. Online-Nachhilfe schaffe Chancengleichheit, so Rath.

Dass der Lernerfolg vom einzelnen Schüler abhängt, glauben auch die Macher von The Simple Club. Und auch sie betonen: „Wir ersetzen definitiv keine Schule.“ Für Jugendliche sei der soziale Kontakt zu anderen äußerst wichtig, sie müssten über Themen diskutieren können. Den Unterrichtsstoff müsse man im Idealfall gemeinsam erarbeiten und dabei zusammen Spaß haben. „Das ist“, glauben die Mosbacher Nachhilfelehrer, „über die Kommentarfunktion auf Youtube nur bedingt möglich.“