Bei Dreharbeiten für Film und Fernsehen werden ganze Straßen gesperrt. Die Herstellung von Youtube-Videos ist da deutlich unkomplizierter und viel, viel billiger. Ein Besuch an zwei Drehorten. VON JAN SCHULTE

 
Es ist 12 Uhr mittags. Tatortkommissar Max Ballauf alias Klaus Johannes Behrendt wartet im Schatten der Hochhäuser des Pariser Platzes in Köln-Chorweiler darauf, eine Fahndung auszulösen. Sein Kollege Freddy Schenk alias Dietmar Bär wartet darauf, einen Zeugen zu einem Überfall auf einen Gemüseladen zu befragen. Der Kameramann wartet darauf, dass der Dreh losgeht, doch erst muss noch ein großes schwarzes Segel aufgespannt werden, um für bessere Lichtverhältnisse für diese Szene zu sorgen. Dann ist es so weit: „Ein grauer Kastenwagen mit roter Aufschrift“, spricht Behrendt in sein Handy – da rattert im Hintergrund ein Kind mit seinem Bobby-Car über die Pflastersteine. Es gehört nicht in die Szene, es spielt nicht mit, es spielt hier nur. Der Regisseur unterbricht die Aufnahme. Für die beiden Tatort-Kommissare ist es ihre erste Szene heute. Das Team der Bavaria Fernsehproduktion ist schon seit 8 Uhr auf den Beinen: Aufbauen des Sets, letzte Gespräche mit den Nebendarstellern führen und schon mal die ersten Szenen drehen, für welche die beiden Hauptpersonen nicht gebraucht werden.

Wesentlich schlichter geht es bei den Filmaufnahmen von Tim Abels (23) und Janni Sarantis (24) zu. Die beiden sitzen auf einer Bettkante und gucken in eine Kamera, die auf einem Stativ vor ihnen steht. Ihr Studio befindet sich in Tims Zimmer im Keller seines Elternhauses. Die beiden betreiben als „TiMbo“ und „Blackk“ den Youtube-Kanal „ColognestheticsTV“, auf dem es um das Thema Fitness geht. Sie zeigen Übungen für verschiedene Muskelgruppen, geben Ernährungstipps und drehen häufiger mal ein Comedy-Video – natürlich über Fitness. Drehen sie nicht in Tims Zimmer, machen sie ihre Filmaufnahmen meist in einem Fitness-Studio.

Tonprobleme gibt es überall

Auch in einem Keller kann es zu Tonproblemen kommen. Als die beiden mit ihrem Video beginnen wollen, geht in der Nachbarschaft eine Alarmanlage los. Geduldig warten die beiden, bis das Geheule zu Ende ist, Janni richtet noch schnell die Kissen im Hintergrund, dann startet Tim die erste Aufnahme. Ein Drehbuch haben die beiden für dieses Video nicht, lediglich ein paar Stichworte auf dem Handy. „Was geht ab Freunde, Colognesthetics heute am Tag“, beginnt Janni. Eigentlich hätte es „heute am Start“ heißen sollen, stellen die beiden lachend fest. Beim nächsten Versuch klappt es. Etwas mehr als sieben Minuten sprechen sie abwechselnd in die Kamera und stellen ihre Haltung zu Product-Placement in Youtube-Beiträgen dar. Nein, sie hätten keine Probleme mit Product-Placement, erklären sie, es solle nur inhaltlich zum Kanal passen. „Wir würden auch niemals von irgendeiner Fast-Food-Kette hier eine Tüte hinstellen“, sagt Janni in ihrem Video. Das passe einfach nicht zu ihrem Fitnesskanal, in dem sie auch Ernährungstipps geben.

Bislang ist ihr Angebot nicht wirklich populär und leben können sie davon nicht. Wenig mehr als 1500 Abonnenten hat ihr Kanal aktuell; der Abstand zu den deutschen Youtube-Stars, die mehr als eine halbe Million Abonnenten haben, ist riesig. Das sei mit Fitnessvideos nicht zu schaffen, sagt Janni. Die Zielgruppe sei einfach viel kleiner. Investiert haben die beiden bisher rund 2000 Euro, hauptsächlich für die Kamera und ein Stativ. Im Vergleich zum Kölner Tatort ist das nicht viel: Rund 1,4 Millionen Euro kostet die Produktion einer Kölner Folge. Ums Geld gehe es Janni und Tim aber eh nicht so sehr. „Youtube ist in erster Linie eine Kunst für uns. Wir wollen unsere Zuschauer miteinander verbinden, sie zu einer Community machen“, sagt Janni.

Zusätzlich betreiben die beiden einen Onlinehandel für Sportkleidung, Taschen und Caps. Auch damit würden sie nichts verdienen, sagt Janni. „Wir verkaufen unsere Kleidung zum Einkaufspreis.“ Es gehe vor allem darum, „die Gang“ zu vergrößern. Ihre Fans näher kennen würden sie selber leider nicht. Nur hin und wieder spricht sie mal einer an, im Fitnessstudio oder in einer Kölner Diskothek. Im richtigen Leben arbeitet Janni als Projektmanager in einer Werbeagentur und Tim im Service-Center eines Telefondienstes.

Arbeitsaufwand in unterschiedlichem Ausmaß

Das Filmteam um Behrendt und Bär startet den nächsten Anlauf für die Szene, die am Ende gerade mal ein paar Sekunden lang sein wird. „Ruhe bitte, wir drehen!“, ruft ein Mitarbeiter, bevor die Aufnahme beginnt. Doch bevor Behrendt erneut mit der Fahndung loslegen kann, taucht am Himmel über Chorweiler ein Flugzeug auf. Wieder muss das Team warten. Beim nächsten Versuch läuft alles glatt. Kommissar Ballauf bekommt über sein Handy eine wichtige Information, schnappt sich den Kollegen Schenk und läuft mit ihm die Straße runter. „Danke und aus!“, ruft der Regisseur, der die Szene auf einem kleinen Bildschirm verfolgt hat. Auch der Kollege vom Ton nickt zufrieden. Während die Schauspieler Pause haben, bauen die Mitarbeiter die gesamte Technik ab, um sie ein paar Meter entfernt wieder aufzubauen. Die nächste sekundenlange Szene spielt an einer anderen Stelle des Pariser Platzes. Bis 20 Uhr wird das Tatort-Team in Chorweiler drehen. Im Juli bleibt es lange hell. Drehtag Nummer 15 für eine Folge, die vermutlich erst zu Beginn des nächsten Jahres erscheinen wird. Pro Außendrehtag schafft das Team vier bis fünf Minuten Filmmaterial, im Schnitt 23 Drehtage für eine Folge. Die rund zweimonatigen Vorbereitungen dafür haben schon viel früher begonnen: Drehorte aussuchen, Schauspieler und Statisten auswählen, Requisiten organisieren, sich um die Dreherlaubnis bei der Stadt kümmern.

Sechs bis acht Stunden brauchen Janni und Tim, um ihre Videos nach der Aufnahme noch zu bearbeiten. Seit Februar laden sie jeden Dienstag, Donnerstag und Sonntag ein neues Video hoch, immer um 18 Uhr. Dienstags ein informatives, zum Beispiel über Ernährung, donnerstags ein Fitness- oder Lifestyle-Video vom Einkaufen gehen oder dem Besuch eines Konzertes und sonntags was Lustiges.

Fernsehen? Tatort? „Wer guckt denn heute noch Fernsehen?“, sagt Janni. Er sehe sich schon seit Jahren nur noch Youtube-Videos an. Da sei man wenigstens sein eigener Programmchef.

Auf der nächsten Seite lesen Sie ein Kurzinterview mit Ballauf-Darsteller Klaus Johannes Behrendt.

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