Medien transportieren Informationen, Medien unterhalten, Medien beeinflussen die Gesellschaft. Und das schon ziemlich lange. Doch wie sie das tun, hat sich im Laufe der Jahre stark gewandelt. Mit der Elektrifizierung und schließlich der Digitalisierung vollzieht sich diese Veränderung immer schneller. Ein Rückblick, der Augenblick und ein Ausblick. VON JUDITH COLLING
Von der Entwicklung der ältesten heute bekannten Schriften bis zur ersten standardisierten Verbreitung geschriebener Informationen dank des Buchdrucks vergingen rund 4500 Jahre. Doch es brauchte nur ein gutes Jahrhundert von den ersten bewegten Bildern bis zur Liveübertragung selbst produzierter Videos im Internet. Und heute taucht quasi jeden Tag ein neuer Social-Media-Trend auf. „Medienwandel gibt es schon immer“, sagt Karsten Wolf, Professor für Medienpädagogik und multimediales Lernen an der Universität Bremen, „aber er hat sich in den letzten zwei Dekaden beschleunigt.“ (Das ausführliche Interview mit Karsten Wolf über die Folgen des Medienwandels finden Sie hier.)
Jahrtausende lang war das geschriebene Wort – per Hand, gedruckt, in Büchern, auf Flugblättern und Aushängen, in Zeitungen, in Magazinen und in Briefen – die beherrschende Kommunikations- und Informationsform. Dann durchbrachen Bild- und Tonübertragungen, ermöglicht durch elektrische Energie und Erfindungen der industriellen Revolution, im 19. und 20. Jahrhundert das Informationsmonopol der schriftlichen Medien. Das Fernsehen stieg im 21. Jahrhundert in den Industrienationen zum Massenmedium auf. Und bis heute entfällt der größte Teil des Medienkonsums der deutschen Gesamtbevölkerung auf das Fernsehen: Rund 208 Minuten schaute der Durchschnittsbürger ab 14 Jahren laut einer Studie von ARD und ZDF im Jahr 2015 täglich fern.
Auffällig aber ist: Die Studienteilnehmer zwischen 14 und 29 Jahren verbringen mit lediglich 144 Minuten am Tag deutlich weniger Zeit vor dem Fernseher als der Gesamtdurchschnitt. Das führende Medium in dieser Altersgruppe ist mit 187 Minuten deutlich das Internet. Ein Hinweis auf einen Generationenkonflikt?
Klar ist, dass sich ältere Menschen deutlich schwerer mit digitalen Medien tun als die, die in die digitalisierte Welt hineingeboren wurden. Und dass das Fernsehen das absolute Leitmedium der sogenannten Babyboomer, der geburtenstarken Jahrgänge um 1960 ist, die den größten Bevölkerungsanteil in Deutschland stellen. Trotzdem sieht Karsten Wolf keine klare Bruchstelle im Mediennutzungsverhalten der Gesellschaft: „Ich bin ein absoluter Gegner vom Konstrukt der‚Digital Natives‘“, sagt Wolf. Zwar würden junge Menschen die digitalen Medien vielleicht intuitiver und auch häufiger nutzen, aber die Fähigkeit, sich damit auseinanderzusetzen, habe grundsätzlich nichts mit dem Alter zu tun.
Das belegen auch die Zahlen einer Studie, die den permanent wachsenden Anteil der Deutschen, die das Internet nutzen, beschreibt: 2015 sind bereits 77 Prozent der Deutschen zumindest gelegentlich online.
Die Deutschen verbringen zwar auch insgesamt immer mehr Zeit mit Medien. Trotzdem zieht der wachsende Onlinekonsum natürlich Aufmerksamkeit von anderen Informationskanälen ab.
Junge Leute zwischen 14 und 29 Jahren beschäftigen sich sowohl mit dem Fernsehen als auch mit Zeitungen, Zeitschriften und dem Radio deutlich weniger als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung in Deutschland (siehe Grafik 1). Während das Radio als „Nebenbei-Medium“ laut Wolf durchaus gute Überlebenschancen hat, sieht es für Print und Fernsehen seiner Einschätzung nach deutlich düsterer aus. Zeitunglesen werde zunehmend ein Eliten-Phänomen, denn die klassischen Printmedien produzierten zwar guten Content, schafften es aber nicht, diesen auf die Bildschirme zu bringen. Und das Konzept, die Ur-Idee des Fernsehens, sei tot. „Die Vorstellung, dass man eine Sendung zu einer bestimmten Zeit ausstrahlt und die Leute das dann schauen, ist überholt“, so Wolf. Die ständige Verfügbarkeit aller Inhalte im Internet bewirkt, dass niemand mehr warten muss, bis endlich die nächste Folge der Lieblingssendung ausgestrahlt wird. Video-on-Demand-Anbieter, die eigenen Mediatheken und nicht zuletzt Videoplattformen mit selbstproduziertem Content wie Youtube, Vimeo, Vine, twitch.tv, Dailymotion und MyVideo machen den traditionellen Fernsehkanälen zu schaffen. Zwischen 2007 und 2014 stieg der Anteil der Deutschen, die Videoinhalte im Netzt konsumieren, nach der Online-Studie von ZDF und ARD von 34 auf 64 Prozent.
Weltweit verzeichnen die Videoportale ein rasantes Wachstum. Und ständig kommen neue Plattformen hinzu. Alleine das führende Videoportal Youtube wuchs in den ersten drei Quartalen in 2014 um 25 Prozent. Jüngere Netzwerke wie Tumblr und Pinterest bauen ihre Reichweite geradezu mit explosionsartiger Geschwindigkeit aus.
Für die jüngsten Mediennutzer gehören Online-Videoportale bereits fest zur alltäglichen Unterhaltungs- und Kommunikationsstruktur: 57 Prozent der 15- bis 19- Jährigen und sogar 64 Prozent der 12- bis 14-Jährigen schauen täglich Videos auf Youtube. Der Rest nutzt das Portal – bis auf eine geringe Minderheit – mindestens einmal wöchentlich.
Inhaltlich sind dabei auf Youtube zwei Trends zu beobachten: Zum einen ist da die zunehmende Professionalisierung der Videos und der Ausbau von Kanälen, die abonniert werden können. Neben den Youtube-Netzwerken wie Mediakraft oder Divimove versuchen verstärkt auch große Medienunternehmen auf Youtube ein Geschäftsfeld zu erschließen. Fernsehsender wie RTL und die ProSiebenSat1 Media SE haben jüngst in Youtube-Netzwerke wie StyleHaul und Studio71 investiert bzw. diese übernommen. Sie wollen so versuchen, die jüngeren Medienkonsumenten doch wieder verstärkt an ihre etablierten Marken zu binden. Ob das gelingt, ist nach Meinung von Wolf fraglich: „Youtube selbst setzt mit seinem Konzept nicht auf einige große, sondern auf viele kleine Schiffe.“ Diese verkörpern den zweiten großen Trend auf den Videoportalen: Jeder Konsument kann zugleich Produzent sein. Die Selbstdarstellung scheint kaum noch Grenzen zu kennen. Egal ob Schminktipps, improvisierte Musikdarbietungen, Sportvideos, Comedy oder Nachhilfeunterricht – hier kann jeder seine Zielgruppe finden und diese dank Kommentar- und Reaktionsmöglichkeiten passgenau bedienen.
Wie viele Medienkonsumenten mittlerweile auch selbst Beiträge hochladen, zeigt eine Statistik über die Uploads auf Youtube. Wurden im Mai 2008 weltweit pro Minute 13 Stunden Videomaterial online gestellt, waren es im Dezember 2014 bereits 300 Stunden.
Dabei ist Youtube schon längst nicht mehr der größte Wachstumsmarkt in der Online-Video-Branche. Die klassischen Fernsehsender werden im Bereich qualitativ hochwertiger Produktionen immer stärker von Video-on-Demand-Anbietern wie Netflix, Amazon Prime, Maxdome und Itunes bedrängt. Und als Portal zur eigenen Videoproduktion sind Plattformen wie Younow, Tumblr und Pinterest gerade bei der jüngeren Zielgruppe deutlich angesagter als Youtube. Wohin die Reise geht, ist laut Wolf schwierig zu prognostizieren. Zu viele im Vorhinein gehypte Trends hätten sich letztendlich nicht durchsetzen können.
Fest steht für ihn allerdings, dass der mobile Medienkonsum weiter zunehmen wird. Technische Geräte rücken in Form von sogenannten Wearables wie Smartwatches oder Smartglasses (mit dem Internet verbundene Armbanduhren und Brillen) noch näher an den Körper heran. Eine Entwicklung, die schon heute sichtbar ist: Nutzten 2012 lediglich 54 Prozent der User das Internet außer Haus, waren es 2014 bereits 81 Prozent.
Diese ständige Verfügbarkeit von Medien und Informationen und die Möglichkeit pausenlos zu kommunizieren führt laut Wolf zu einem neuen Verständnis von Privatheit. „Die Grenzen werden sich verschieben.“ Genau deshalb brauche es einen Diskurs, wie viele Daten wir wem wie anvertrauen wollen. Insgesamt sei eine starker Wandel in der Mediennutzung erkennbar. Und das nicht nur bei den jungen Generationen, sondern innerhalb der gesamten Gesellschaft. Ob es sich tatsächlich um eine Medienrevolution wie die Erfindung des Buchdrucks im Jahr 1450 handelt? Das können wohl erst nachfolgende Generationen beurteilen.
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