Michaela Conrads ist über 50 und stellt Schminkvideos bei Youtube ein. Da geht’s um Glitter, Eyeliner und Faltenpflaster – sie will Frauen in ihrem Alter helfen, sich schön zu machen und zu fühlen. Inzwischen hat sie eine eigene Produktpalette und verdient ihren Lebensunterhalt mit dem Online-Versand. VON MILENA MENZEMER

 

Der Auto-Fokus braucht etwa drei Sekunden, um das Gesicht von Michaela Conrads scharf zu stellen. „Hallo, heute mache ich etwas, wofür ich wahrscheinlich wieder Schelte bekomme“, verkündet Conrads mittig im Bild sitzend. Sie trägt ein Shirt mit bunten Schmetterlingen, hat feuerrot gefärbte Haare. Ab Minute 4:17 ist nur noch ihr Dekolleté im Bild. Schnitt. Mit der Nagelschere. Bei 5:07 entfernt sie ein „Wärzchen“, das ihr zwischen den Brüsten wächst. „Baaaaa vollllll ekelhaft“, kommentieren die einen. „Du bist eine mutige und tolle Frau!!“, die anderen. Aus Pulheim bei Köln sendet Michaela Conrads Schönheitstipps, weltweit sind ihre Videos auf Youtube zu sehen.

Sie ist nicht die einzige, die so etwas tut. Unzählige junge Mädchen laden täglich Videos hoch, betitelt mit „2 SCHUL-MAKEUP LOOKS – Dezent oder Girly“, „Meine GESICHTSPFLEGE-Routine!!!“ oder „Behaarung und Enthaarung ♡ CALL OF BEAUTY ♡“. Sie machen vor, wie es geht, und geben Ratschläge: Teenager, die aus ihren Kinderzimmern „Make-Up-Tutorials“ senden und über Mode und Lifestyle referieren. Sogar Achtjährige sind dabei, die sich vor laufenden Kameras die Nase pudern. Michaela Conrads sticht aus dieser Masse heraus. Auch sie spricht leidenschaftlich über Lipgloss und Glitzer. Aber Zahnspangenpflege ist kein Thema für sie. Conrads redet mit den Zuschauern über Faltenpflaster und Tränensäcke. Sie ist Beauty-Bloggerin, aber keine 15, sondern 51 Jahre alt.

Fast jede Woche produziert sie ein Video für die Kanäle makeupcoach oder silverwoman. Das sind Filme für Frauen „mit etwas locker gewordener Haut“, wie Conrads die Frauen in ihrem Alter bezeichnet. Ihnen will sie dabei helfen, sich schön zu fühlen. Sie, die von sich selbst sagt, dass sie lieber in den Baumarkt geht als ins Schuhgeschäft. In ihren Videos sitzt sie alleine vor der Kamera, schneidet sich selbst die Haare – oder sie kümmert sich um Gäste, zum Beispiel um Petra und den Pigmentfleck. Oder um Mona mit der großporigen Haut.

Ob ihr jemals die Themen ausgehen? Conrads verneint. Vieles entwickele sich ja auch immer weiter. Wenn die Menschheit zum Beispiel zu erkennen meint, dass sich Wimpern besser mit dem Interdentalbürstchen färben lassen, doch nicht so gut mit dem Wattestäbchen, dann dreht Michaela Conrads dazu ein Video.

An verschiedenen Köpfen hat Conrads 30 Jahre Berufserfahrung gesammelt. Im Betrieb der Eltern machte sie eine Ausbildung zur Friseurin. Dann unterrichtete sie an einer Kölner Friseurakademie, ging nebenbei zur Abendschule, um den Meister zu machen. Sie landete im Bereich der Modefotografie, wo sie die Models frisierte und auch schminkte, unter anderem Claudia Schiffer und Heidi Klum. Die Backstreet Boys und Mariah Carey hat sie aufgehübscht, als sie anfing, für TV-Produktionen zu arbeiten. Das war, als sie das zweite Kind bekommen hatte und sich festere Arbeitszeiten wünschte. Sie arbeitete bei der RTL-Nachtshow, schminkte danach mehrere Jahre ausschließlich die RTL-Moderatorin Ilona Christen. Später leitete sie die Maske beim Teleshopping-Sender RTL-Shop.

Und dann kam Youtube. Mit ihrer Freundin Martina Kast hat Conrads ihre Video-Karriere gestartet. Die beiden erarbeiteten ein Konzept und drehten Ende 2009 ihr erstes Video – mit einer wackligen Webcam vorm Laptop. Martina und Michaela als MaMi40plus. Das Motto: Ein Mann in 99 Tagen. „Ich sollte Martina so schminken, dass sie einen Mann findet“, sagt Conrads. „Nach 153 Tagen hatte sie den.“ Aber die beiden Frauen produzierten weiter.

Über 10.500 Abonnenten hat der Kanal heute, fast drei Millionen Klicks. Auf ihren eigenen Kanälen makeupcoach und silverwoman hat Conrads zusammen nochmal etwa 11.000 feste Zuschauer, die Videos wurden hier fast zwei Millionen Mal angeklickt. Conrads ist für Schönheitsbloggerinnen wie DagiBee wohl keine Konkurrenz. Die hat über zwei Millionen Abonnenten, mehr als 260 Millionen Klicks. Aber darum gehe es ihr auch gar nicht, sagt Conrads. Mit diesen „jungen Hühnern“ wolle sie sich nicht messen.

Die bekämen ja teilweise Geld für die Klicks. „Die filmen sich ja manchmal schon selbst beim Schuhe binden.“ Dafür hat Conrads kein Verständnis. Die 51-Jährige sitzt ohne Werbe- oder Agenturvertrag vor ihrer Kamera. Sie wolle einfach nur gut recherchierte Beiträge bieten, sagt sie. „Qualität vor Quantität.“ Sie erhalte immer wieder Post von Frauen, die ihr für die Videos und die Tipps danken. Wenn sie lese, wie sie denen helfe, gehe ihr das Herz auf, sagt die Youtuberin.
Dabei kommen natürlich auch unfreundliche Kommentare. „Wenn du meine Mutter werst, würde ich nicht mehr vor die Tür gehen“, hat ein Mädchen neulich kommentiert. Dann könnten sie ja beide froh sein, nicht verwandt zu sein, hat Conrads geantwortet. „Und ´wärst´ schreibt man mit ä.“

Auch dass sie dringend mal etwas an ihrer Kameraführung tun solle, liest sie häufiger. „Aber das belächele ich nur.“ Conrads geht es um Strähnchen, Spliss und Smokey Eyes. Die Technik sei da weniger wichtig. Vor ihrem Spiegel steht ein kleiner Camcorder auf einem Bücherstapel. Conrads weiß, wie man das Gerät ein- und wieder ausschaltet. Viel mehr eigentlich nicht. Auf Ebay hat sie exakt das gleiche Kameramodell noch einmal ersteigert – falls dieses mal kaputtgeht.

Conrads will die Frauen erreichen. Das macht ihr Spaß. Aber es ist auch ein Geschäftsmodell. Sie hat mit einem Kosmetikhersteller inzwischen eine eigene Produktpalette kreiert, online zu erwerben über ihre Internetseite. Den „Porzellan-Rouge Pinsel“, kurz „Glitter Silber“ gibt es da für 20,90 Euro. Oder für 4,90 Euro die „Lip-Luck-Lippenstifttürme“. Ihr eigener Name steht auf den Produkten – oder das Stichwort makeupcoach. Conrads hat geschafft, was sich sehr viele Youtuber wünschen, was aber nur wenigen glückt. Sie lebt inzwischen tatsächlich vom Online-Versand. Wie viel sie damit verdient, sagt sie nicht. 40 bis 100 Päckchen verschickt sie täglich. Manche gehen auch in die Schweiz oder nach Österreich. „Das war einfach wie ein Schneeballsystem“, sagt sie. Inzwischen hat sie fünf Minijobber engagiert, die ihr mit dem Paketversand helfen. Der Online-Versand ist ihr Kerngeschäft.

Mit den Rezepturen für die Schminke hat Conrads nichts zu tun, darum kümmert sich ein „bekanntes Unternehmen“, dessen Namen sie nicht nennt. Man könne sich das vorstellen wie im Baumarkt. „Du wünschst dir eine neue Wandfarbe, willst vielleicht noch ein bisschen mehr Rosa drin – und dann rühren die dir das an.“ Inspiration finde sie überall: Wenn sie mit offenen Augen durch die Straßen gehe oder mit geschlossenen bei ihrem Mann im Arm liege.
Gelegentlich bietet die Youtuberin auch Coachings an, lädt Frauen zur individuellen Beratung nach Pulheim ein. 350 Euro bezahlen die dafür. „Dabei schaue ich aber nicht auf die Uhr“, sagt Conrads. Die Termine seien immerhin auch wichtig für sie selbst. Sie müsse ja im Training bleiben, dürfe nicht aus der Übung kommen, erklärt sie. „Schminken ist wie Hochleistungssport.“