Bei Younow senden sich Jugendliche live und kostenlos aus dem Kinderzimmer ins Internet. Sie hoffen auf etwas Aufmerksamkeit. Kinderschützer sind entsetzt und sehen viele Gefahren. Ein Selbstversuch. VON MARIUS ELFERING
Hurra, ich werd‘ ein Star. Das hoffen viele Jugendliche, wenn sie bei Younow „auf Sendung gehen“. Mittels Smartphone oder Kamera am PC senden sie eins zu eins aus ihrem Kinderzimmer. Weltweit kann jeder den überwiegend Minderjährigen zusehen – ein Internetzugang reicht. Dagegen laufen nicht nur Jugendschützer Sturm, auch Eltern, Politiker und Anwälte sind in Sorge. Denn neben der Gefährdung des Jugendschutzes kommt es auch immer wieder zu Verletzungen des Persönlichkeits- oder Urheberrechts.
Allein in Deutschland haben sich mehr als 700.000 Menschen bei Younow angemeldet. Für ausgestrahlt.tv ist Marius Elfering auf Sendung gegangen.
Der Selbstversuch:
Als ich mich bei Younow anmelden will, da fragt mich mein Computer, ob ich älter oder jünger als dreizehn Jahre alt bin. Puh. Gleich – so fürchte ich – werde ich mich also vor einer Horde wild gewordener Teenager zum Trottel machen.
Nur wie, das weiß ich noch nicht so genau. Die Kollegen haben mir vorher gut gemeinte Ratschläge gegeben. „Zieh dir einen Hasenpyjama an“, meinten sie und hatten dabei leicht reden. Den halben Tag lang drücke ich mich nun schon davor, endlich anzufangen. Also schaue ich mich zuerst einmal im Netz um. An diesem Samstag sind ungefähr 60 deutsche Kanäle auf Sendung. Ich klicke mich durch die Sender und sehe viele pubertierende Jungs und Mädchen, die – live aus ihrem Kinderzimmer – fröhlich aus ihrem Leben erzählen. Das alles erscheint mir recht harmlos. Niemand zeigt sich freizügig oder gar nackt. Intime Dinge höre und sehe ich nicht.
Der Alltag eines Teenagers im Livestream
Da ist zum Beispiel Florian, etwa 15 Jahre alt, kurze, nach oben gegelte dunkle Haare, Fußballfan. Er sitzt in seinem Zimmer. Hinter ihm an der Wand hängt ein Schal von Borussia Dortmund. Er erzählt, dass er gern Fußball spielt, amerikanischen Rap hört und dass es in der Schule momentan nicht so gut läuft. Allein sitzt er da in seinem Zimmer vor dem Computer. Während er spricht, schaut er immer wieder auf die Anzeige unter seinem Bild. Sie zeigt, wie viele Zuschauer er hat. Außerdem können Menschen, denen das Programm gefällt, den Kanal mit „Gefällt mir“ markieren oder zu „Fans“ werden. Seine Handynummer gibt er an seine Fans weiter und erntet dafür unzählige Daumen nach oben. Kurz telefoniert er mit einer Zuschauerin – wie alt sie ist, erfährt man nicht. Florian und die Anruferin sagen sich kurz „Hallo“. Für die Zuschauer ist es das Größte – sie klicken „Daumen hoch“. Florian bedankt sich überschwänglich für die Unterstützung seiner Zuschauer, dabei sind das zu Spitzenzeiten gerade einmal 40.
Das kann ich auch – denke ich zumindest. Also los. Zunächst muss ich ein Profilbild erstellen. Dann kann ich auf Sendung gehen. Ich schalte die Kamera an und beginne, von mir zu erzählen. Wie ich heiße, warum ich bei Younow bin und welche Erwartungen ich habe. Es fällt mir schwer, so ins Leere hinein zu sprechen. Häufig weiß ich nicht, was ich sagen soll. Doch so recht will sich der Erfolg nicht einstellen, die Zuschauerzahl bleibt konsequent bei Null stehen. Nur selten verirrt sich mal jemand auf meinen Kanal, nur um gleich wieder abzuhauen. Ein Gespräch mit meinen potenziellen Fans entwickelt sich so nicht. Wie soll ich weitermachen, was kann funktionieren?
„Rezitiere Liebesgedichte“, war ein Vorschlag meiner Kollegen oder „schreib` selbst welche“. Doch den Kram auch noch selbst zu dichten, geht mir zu weit. Ich suche also im Internet eine Hand voll halb-poetischer Liebesgedichte. Gedichte, von denen ich denke, dass sie 13- bis 15-jährigen Mädels gefallen könnten.
Und das Resultat? Drei Zuschauer. Das ist mein Zenit, weiter komme ich auch mit Gedichten nicht. Die meiste Zeit habe ich nur einen Zuschauer. Ich komme nicht an, das sehe ich schnell ein. Ich brauchte mehr Inspiration und so durchstöberte ich die anderen Kanäle noch einmal. Viele von ihnen haben ebenso wenig Zuschauer wie ich. Die beliebtesten Kanäle in Deutschland schauen sich etwas mehr als 100 Leute an. Die durchschnittliche Zuschauerzahl liegt bei fünf bis 20. Das muss doch irgendwie zu schaffen sein, denke ich. Da fällt mein Blick auf den Stabmixer, den ich mir am Morgen zugelegt habe. Ein geniales Ding, wenn man mal eine Suppe pürieren möchte. Lohnt sich. Und vielleicht interessiert sich ja auch der ein oder die andere im Netz dafür. Ich lese also die Bedienungsanleitung des Küchengeräts vor und sende das Ganze live ins Internet.
Es hätte nicht besser laufen können. Naja okay, vielleicht übertreibe ich etwas. Aber am Ende der Anleitung angekommen, habe ich immerhin zehn Zuschauer erreicht und drei von ihnen haben meinen Kanal mit einem Like versehen. Nach drei Stunden bei Younow beschließe ich, dieses Kapitel zu beenden.
Auf der nächsten Seite kommentiert Marius Elfering das Phänomen Younow.
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